Du dumme Gans….du blöde Kuh – Manchmal lassen auch hochsensible Kinder “Dampf”ab

Ausgangssituation

Wir waren alle am Arbeiten und es war mucksmäuschenstill im Raum. Plötzlich zischte es durchs Klassenzimmer: “Du dumme Kuh!” Dann war Ruhe. Ein paar Minuten später: “Du blöde Gans!” 

Die Kinder erheben die Köpfe. Sie schauen sich um. Jasmin und Fabienne, zwei Freundinnen “knurren” sich wieder einmal an. Uns haben sie dabei völlig vergessen. “Ich schicke dich zum Mond!” “Und ich dich zur Sonne. Dann verbrennst du.” Jetzt war wieder Ruhe. 

Es kam ab und zu mal vor, dass sich die beiden “kabbelten”, doch so laut und so schlimm war es noch nie. Die Freundschaft der beiden Mädchen war recht intensiv. Da war es auch klar, dass sie miteinander Streit bekamen. “Ich schneide dir die Haare ab!” Sie redeten leise, aber so, dass wir alles verstehen konnten. “Ich schneide dir die Zunge ab!”

Auch Streiten braucht Struktur

Jetzt wurde es mir zu bunt. Ich ging zu den beiden hin und forderte sie auf, das Zimmer zu verlassen. Sie sollten sich vor der Türe richtig beschimpfen, sodass sie nachher wieder Frieden schliessen konnten. Sie durften das Zimmer erst wieder betreten, wenn sie anständig und friedlich miteinander reden konnten. 

Es verging sicher eine halbe Stunde. Plötzlich ging die Tür auf und die beiden kamen Hand in Hand herein. “Alles in Ordnung?” fragte ich. “Alles o.k., kein Problem”. Wir konnten alle in Ruhe weiter arbeiten.

Meine Gedanken

Hochsensible Menschen nehmen Reize ungefiltert wahr. Dies bedeutet vor allem auch bei Kindern, dass irgendwann einmal nichts mehr aufgenommen werden kann. Manchmal tut es dann einfach nur gut, wenn man streiten kann. Diese beiden Mädchen haben es sich angewöhnt, ihre “Fülle mit Streit zu leeren”. Nach dieser Episode ging es ihnen wieder gut. 

Streiten ist normal

Dies zu erkennen und ihre Streitereien als Ventil anzuerkennen, war für mich am Anfang gewöhnungsbedürftig. Mit der Zeit aber gefiel mir diese Streitkultur. Ich merkte, wie diese Kinder viele Spannungen auf eine relativ lockere Art abbauen konnten und dadurch in einer spielerischen Art und Weise wieder ins Gleichgewicht kamen.

Streitigkeiten spielen eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Überlastung und in der Konfliktlösung, besonders auch bei hochsensiblen Kindern. Streiten ist nicht immer negativ, auch wenn für viele Menschen diese Art von Konfliktlösung eher unangenehm erlebt wird. Wenn Streiten richtig gehandhabt wird, können sehr wohl positive Lösungen daraus entstehen.

Streiten muss fair sein

Im Alltag und besonders in der Schule können Konflikte zwischen Kindern entstehen, die oft eine hitzige und emotionale Reaktion hervorrufen. Der Konflikt zwischen Jasmin und Fabienne zeigt, dass auch hochsensible Kinder manchmal auf ziemlich direkte und harsche Art Dampf ablassen müssen, eben weil sie so intensive Gefühle haben. Da liegt es an uns Erwachsenen, den Kindern zu zeigen, wie man konstruktiv streiten kann, ohne andere zu verletzen.

Tipps für eine konstruktive Streitkultur unter Kindern

  • Streiten lernen: Kinder sollten lernen, dass Streiten normal ist, dass es aber darauf ankommt, wie man streitet. Ermöglichen Sie es den Kindern, ihre Emotionen auszudrücken, so lange es in einem sicheren Rahmen geschieht. Das gibt ihnen die Möglichkeit, ihre Gefühle zu verstehen und zu lernen, wie sie diese angemessen ausdrücken können. Dies sollte auf eine klare und respektvolle Art und Weise geschehen, ohne beleidigende Wörter zu verwenden. 
  • Aktives Zuhören fördern: Kinder sollten ermutigt werden, aktiv zuzuhören, wenn jemand anders spricht. Dies bedeutet, dass man den anderen ausreden lässt, ohne ihn zu unterbrechen. Es ist dabei auch sinnvoll, die Kinder wiederholen zu lassen, was der andere sagte. Dadurch bekommen alle die Sicherheit, dass auch wirklich verstanden wird, was gesagt wurde.

  • Konfliktlösungsstrategien: Anstatt sich auf die Schuldfrage zu konzentrieren, können Kinder dazu angeleitet werden, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die für beide Seiten akzeptierbar sind. Dabei hilft es, sie dazu anzuregen, Vorschläge zu machen und Kompromisse zu finden. Eine einfache Strategie ist es z.B., die Perspektive zu wechseln,  um zu verstehen, wie sich der andere fühlt. Dies kann man mit Rollenspielen auf eine gute Art lösen.

  • Eskalation vermeiden: Manchmal brauchen besonders hochsensible Kinder eine Pause, wenn sie merken, dass sie zu wütend werden. Eine kurze Pause kann helfen, die Gemüter zu beruhigen und einen klaren Kopf zu bekommen. Dabei kann auch ein gemeinsamer Spaziergang helfen.

  • Regeln für Streitigkeiten: Setzen Sie klare Regeln für Streitigkeiten fest. Schimpfwörter, Beleidigungen oder körperlicher Einsatz sollten tabu sein. Manchmal braucht es einen Erwachsenen, der als Mediator fungiert. Er hilft, das Gespräch zu leiten und stellt sicher, dass beide Seiten gehört werden. 

Als Lehrerin habe ich festgestellt, dass manchmal völlig unbeteiligte Kinder Dinge wahrgenommen haben, die bei der Entstehung eines Konfliktes eine bedeutsame Rolle spielen. In der Regel habe ich Konflikte im Klassenverband gelöst. Wir haben gemeinsam Lösungen gesucht, mit denen alle Beteiligten leben konnten. Wir haben den Konflikt gemeinsam abgeschlossen und z.B. mit einem Lied beiseite gelegt.

Tipps für eine konstruktive Streitkultur in der Familie

  • Streiten lernen und Vorbild sein: Es kann hilfreich sein, gemeinsam in der Familie Regeln für Streitigkeiten festzulegen. Dazu gehören z.B. keine Unterbrechungen, keine Beschimpfungen und eine offene, ehrliche Kommunikation. Eltern sollten als Vorbild fungieren, indem sie zeigen, wie man respektvoll und konstruktiv miteinander umgeht. Dazu gehört auch, Gefühle in Ich-Botschaften auszudrücken und dass aktiv und ruhig zugehört wird. Kinder lernen durch Beobachten und Nachahmen. Das Verhalten der Eltern gibt den Ton an.

  • Regelmässige Familienmeetings: Regelmässige Familientreffen können helfen, anstehende Probleme in einer strukturierten Umgebung zu besprechen und gemeinsam Lösungen zu finden. Jedes Familienmitglied bekommt die Chance, seine Sichtweise darzulegen. Dies stärkt das Gemeinschaftsgefühl und zeigt, dass jedes Familienmitglied geschätzt wird.

Abschliessend

Wenn sowohl in der Schule als auch zu Hause eine Kultur der offenen und respektvollen Auseinandersetzung gepflegt wird, können Kinder lernen, Konflikte auf eine konstruktive Art zu lösen. Nicht nur ihre Beziehungen bleiben intakt, nein, ihre persönliche Entwicklung, das emotionale Wohlbefinden und ihre sozialen Fähigkeiten werden gestärkt. Diese Fähigkeiten sind essentiell, um auch in anderen Lebensbereichen erfolgreich und glücklich zu sein. Besonders hochsensible Kinder reagieren möglicherweise empfindlicher auf zwischenmenschliche Spannungen. Für sie ist es besonders wichtig, in einer Umgebung aufzuwachsen, in der Konflikte fair und mitfühlend gelöst werden.

Über die Autorin

Antonia Müller

Ich heisse Antonia Müller. Ich wohne in der Ostschweiz in der Nähe von St.Gallen und dem Bodensee. Ich selber wie auch meine Kinder sind hochsensibel. Als Lehrerin habe ich über dreissig Jahre mit hochsensiblen Kindern gearbeitet. Es ist mir ein Herzensanliegen, dass Kinder unbeschwert und ohne Druck aufwachsen dürfen. Hochsensible Kinder haben ein Anrecht darauf zu lernen, wie sie ihre Gabe der Hochsensibilität sinnvoll und kreativ in ihr Leben integrieren können.

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